Weiß der Papst, was ein Barcamp ist?

Links Juna, rechts der Barcampsaal mit Stuhlreihen, Bühne und Leinwand

Juna organisierte ein Barcamp auf dem Deutschen Katholikentag

Die Autorin junaimnetz war 2014 im Gründungsteam für das erste Barcamp Rhein-Neckar und organisierte auch in den folgenden Jahren manches Bar- und Literaturcamp in Heidelberg mit.

Als Fangirl von Barcamps war sie sich immer sicher: Das Format funktioniert überall. An den Deutschen Katholikentag hatte sie dabei aber nicht gedacht … im folgenden Blogartikel erzählt Juna wie es dazu kam.

„Wir laden Sie zur Mitarbeit in den Arbeitskreis „Lebenswelt junge Erwachsene“ ein“, schrieb mir das Zentralkomitee deutscher Katholiken per Mail. Ich staunte nicht schlecht über diese Nachricht und überlegte fieberhaft: War ich vor Jahren mit meinem Austritt aus der evangelischen Kirche quasi automatisch Katholikin geworden? Nein, so funktionierte das bestimmt nicht. Und ich zahle bis heute keine Kirchensteuer. Was also war passiert?

Ein wenig Kontext

Das ZDK (Zentralkomitee Deutscher Katholiken) organisiert alle zwei Jahre den Deutschen Katholikentag. 2022 fand er in Stuttgart statt, die Planungen allerdings starteten bereits 2020. Die Organisator*innen besetzen die Arbeitskreise, die dann Programmeinreichungen von kirchlichen (und einigen wenigen säkularen) Organisationen inhaltlich betreuen, diskutieren, ergänzen. Immer wird dabei auch geschaut, ob Menschen für dieses aufwendige Ehrenamt gewonnen werden können, die nicht Mitglied in einer Kirche sind. Und bei der Recherche war man Ende 2020 auf mich gestoßen. Meine Irritation darüber war grenzenlos. Aber etwas an der Aufgabe reizte mich. Ohne zu wissen, was auf mich zukommen würde, sagte ich für den ersten Termin zu – und dachte zwei Dinge:

  1. Gehen kann ich danach immer noch.
  2. Strukturen, die ich von außen harsch kritisiere, sollte ich vielleicht auch einmal von innen kennenlernen.

Ich loggte mich also aufgrund meiner Neugier zur ersten Online-Sitzung ein und blieb wegen der Menschen. Genauer gesagt: Wegen einiger Menschen. Denn schon nach kurzer Zeit lernte ich mehr als in vielen Jahren Religionsunterricht.

Offenheit, unerwartet

So arbeitete ich also plötzlich mit Menschen am Programm für einen neuen Themenbereich, die sich innerhalb der katholischen Kirche für homosexuelle Liebe und Ehe einsetzen, die sich mit Transgender-Fragen und Polyamorie befassen, die feministisch sind und aktivistisch und offen.

Vier Menschen lächleln in die Kamera. Dahinter der Lebensparcours
Ein Teil des Organisationsteams für das Barcamp

Meine Irritation über diese Zusammenarbeit blieb, aber ihre Qualität änderte sich. Ich war positiv überrascht und manchmal geflasht. Dann aber auch wieder erwartungsgemäß genervt von den starren Strukturen und der Realitätsferne der Kirche. Daher war das, was im Laufe unserer Zusammenarbeit passierte, für mich auch nicht abzusehen. Ob ich weitermachen würde, überlegte ich mir von Treffen zu Treffen und nahm mir dabei nur vor, das mögliche Ende meines Engagements ganz offen zu kommunizieren.

Bei einem unserer Treffen – wir hatten inhaltlich viel erarbeitet und in unseren Augen ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt – merkte ich an, dass ein in der Vorarbeit ermittelter wichtiger Bereich fehlte: Die „Rush Hour“.

So wird nicht nur die Zeit mit dem höchsten Verkehrsaufkommen bezeichnet, sondern auch die Zeit des Lebens, in der alles gleichzeitig passieren soll – die Jahre zwischen ca. 23 und 35, und damit der Abschnitt, den wir vorher als „junge Erwachsene“ gefasst hatten.

Diese Zeit ist gekennzeichnet von vielen weitreichenden Entscheidungen, und oft geschehen der Aufbau einer eigenen Familie, der Berufseinstieg und der wichtigste Karriereabschnitt, das Altern der Eltern sowie die Wechsel der Wohnorte nicht brav nacheinander, sondern überschlagen sich und überfordern uns. Diese Rush Hour ist mittlerweile in der Literatur gut belegt und wird erforscht. Und ich fand, wir hatten dafür kein Angebot.

„Wie stellen wir sicher, dass sich junge Erwachsene in ihrer individuellen Lebenssituation gesehen fühlen? Dass wir vielleicht sogar mit ihnen ins Gespräch kommen?“ fragte ich in die Runde, fragten wir einander.

Was dann passierte, hat mir später niemand geglaubt.

Das erste Barcamp des Katholikentags

Irgendwer, eher nicht ich, sagte: „Wir könnten ein Barcamp machen“. Ich muss geschaut haben wie ein Reh im Scheinwerferlicht, aber meine Überraschung lähmte mich nicht lange. Sofort verstärkte ich den Vorschlag entschieden und glühend, berichtete ungefragt aus den Erfahrungen der Barcamp-Orga und schlug direkt vor, es in diesem Rahmen nicht komplett thematisch offenzulassen, sondern den Fokus auf Lebensentscheidungen zu legen. Und da wir nun schon zwei waren, die dieses Format vertraten, bekamen wir im Arbeitskreis den Raum, vorzustellen, was ein Barcamp überhaupt ist.

Nach der Aufklärungsarbeit waren es bereits vier Mitglieder, die sich mehr als vorstellen konnten, dem Deutschen Katholikentag sein allererstes Barcamp zu schenken. Es bildete sich die „Task Force Barcamp“ innerhalb des Arbeitskreises mit der Mission, das Barcamp auszuarbeiten und als eigene Veranstaltung einzureichen.

Viele Planungsmonate später

„Entscheidungen, Entscheidungen“ – ein Barcamp zur Rush Hour des Lebens fand am Samstag des Katholikentags statt. Ein selbst erstellter Mitmachparcours lud an den Tagen vorher die Besucher*innen der Lebenswelt zum Gespräch über (Lebens-)Entscheidungen ein. Wir hatten keine Ahnung, wie es wird. Kommt einfach niemand? Wird der Raum voll? Werden wir vom Papst höchstpersönlich ein enttäuschtes Schreiben ob unserer verfehlten Veranstaltung erhalten, oder zum Ende des Katholikentags dem ZDK Autogramme geben müssen?

Die Moderatorin sitzt gestikulierend auf der Bühne.
Unsere Moderatorin für das Barcamp

Natürlich ist weder noch passiert. Es wurde eine kleine, feine, hoch interessierte Runde voller Besucher:innen, die größtenteils noch nie von einem Barcamp-Format gehört hatten.

Die Idee, dass sie selbst mit ihren Themen und Wünschen zu Teilgebenden werden, stellte viele unserer Anwesenden zunächst vor eine echte Herausforderung. Dann aber … fand die Barcamp-Magie statt.

In intensiven Sessions unterhielt sich das erste Barcamp des Katholikentags über das Dilemma weitreichender Entscheidungen. Über Studienabbruch und Berufswahl. Über Schicksal und Selbstbestimmung. Über Strategien zur Entscheidungsfindung. Darüber, was eigentlich Intention sei. Und über die großartige Frage, ob denn eine falsche Entscheidung am Ende wirklich so schlimm für uns wäre.

Für mich war es eine der gelungensten Veranstaltungen der vergangenen Jahre. Ich saß da, beteiligte mich gelegentlich, führte ein kleines Tafel-Protokoll, weil ich so vieles so spannend fand – und freute mich.

Fazit?

Dieses ungewöhnliche Barcamp in einem ganz und gar neuen Setting ist für mich der ultimative Beweis dafür, dass ich recht hatte: Der Kern eines Barcamps funktioniert überall. Und ich feiere den Mut, den der Arbeitskreis hatte, genau das mit uns – der Taskforce Barcamp – einfach auszuprobieren.

Ein Barcamp lebt von der Augenhöhe des Austauschs, von der partizipativen Gestaltung und von der Idee, dass jeder Mensch im Raum etwas Wunderbares, Einzigartiges und Wissenswertes beizutragen hat.

In dem Moment, in dem eine Gruppe sich mit dieser Voraussetzung begegnet, entsteht geteiltes Wissen, eine temporäre Verbindung, ein tieferes Verständnis füreinander und für die Themen im Raum.

Ich bin mehr denn je überzeugt: Wollen wir die Menschen, die uns umgeben, mit auf die Reise in eine gerechtere, friedlichere, nachhaltigere Welt nehmen: Ein offenes und beteiligendes Format, in dem Dialog nicht nur möglich ist, sondern die Basis – das ist der Weg.

Sehen wir uns beim #bcrn22? Ich würde mich freuen!

Mit herzlichem Dank an Andi, Jo, Sue, Johannes, Jakob, Niklas, Lucia.

Links Juna, rechts der Barcampsaal mit Stuhlreihen, Bühne und Leinwand
Juna auf der Empore über dem Barcamp Saal

Von Julia Schönborn

Julia lebt in Heidelberg und arbeitet als freiberufliche Autorin und Texterin.

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